Sensationeller Bürgerentscheid der Initiative SOS-Mühlenkampkanal

Langversion der Artikels von Thomas Voigt aus der Initiative SOS-Mühlenkampkanal für die Nordnetz-Zeitung vom April 2019

In Winterhude wehrt sich die Initiative SOS-Mühlenkampkanal gegen die massive Bebauung am Ufer des Mühlenkampkanals und so will so einen wichtigen Teil des Kanals als Erholungsgewässer erhalten. In einem Bürgerentscheid konnte sie sich im Dezember 2018 erfolgreich gegen die geschlossene Front aus Investor und großen Teilen der Bezirksversammlung durchsetzen.

Es ist Mittwoch der 12. Dezember 2018, 16 Uhr. Am Mühlenkampkanal knallen die Sektkorken und viele Aktive der Initiative SOS-Mühlenkampkanal sind spontan zusammengekommen, um den erfolgreichen Bürgerentscheid zu feiern. Kaum einen hatte es noch zuhause oder im Büro gehalten, als der Bezirksamtswahlleiter mitteilte, dass 71% der Wähler in Hamburg-Nord die Forderung der Initiative „Der Mühlenkampkanal soll umgrünt und Erholungsgewässer bleiben“ mit ihrem JA unterstützt haben.

Damit nicht genug: Eine verwirrend formulierte Gegenfrage der Bezirksversammlungsparteien SPD, Grüne und CDU wurde von den Wählern mehrheitlich als stark manipulativ erkannt und deshalb abgelehnt. Zu guter Letzt: Die Wahlbeteiligung war bei diesem Bürgerentscheid mit 29% so hoch wie noch nie zuvor in Hamburg-Nord mit seinen rund 250.000 Wahlberechtigten.

Dieser Bürgerentscheid ist ein deutlich repräsentatives Meinungsbild. Er sollte den Politikern im Rathaus und im Bezirk einen klaren Hinweis geben. Es darf nicht überall blindlings gebaut werden, wo noch unbebaute Flächen zu haben sind. Besonders dann nicht, wenn ein Investor mit vagen Versprechungen von scheinbar günstigem Wohnraum viel Geld in seine Taschen wirtschaften kann. Ein Investor, der sich für Bedürftige einsetzt, ist das glaubwürdig?

Logo SOS-Mühlenkampkanal

Wie kam es dazu, dass die Initiative den beschwerlichen Weg eines Bürgerentscheids wählte? Schon 2009 wollte der Investor das erste Mal das Ufer des Mühlenkampkanals dicht bebauen. Der seit 1985 gültige Bebauungsplan ließ zwar keine Nachverdichtung zu. Für einige Politiker in der Bezirksversammlung war das kein echtes Hindernis: Man wollte einfach die Auflagen fürs Bauen anpassen und schon hätte ungebremst weiter nachverdichtet werden können. Mit einer vorhabenbezogenen Bebauungsplanänderung sollte ein Filetstück aus dem vorhanden Bebauungsplan herausgeschnitten werden und mit aufgeweichten Auflagen ein Freibrief fürs Bauen – und fürs Geldverdienen – ausgestellt werden.

Eine Pattsituation in der Bezirksversammlung verhalf damals der Bürgerinitiative dazu, dass das Bauvorhaben nicht realisiert wurde. Acht Jahre später jedoch, im Februar 2017, angeregt durch das Bündnis für das Wohnen, witterte der Investor wieder Goldgräberstimmung und präsentierte der Öffentlichkeit sein „klein Manhattan“. Wo schon Jahre vorher eine angeblich sanierungsbedürftige Tiefgarage als Begründung für die Bebauung hergehalten hatte, wollte man nun an gleicher Stelle auf einem schmalen Grünstreifen zwischen den Mühlenkampkanal und drei bereits bestehenden 13geschossigen Hochhäusern mehr als hundert neue Wohnungen quetschen, bis zu 7 geschossig hoch..

Die Anwohner im weiten Umkreis, ganz besonders auch die Bewohner der drei Hochhäuser, waren schockiert. Viele Apelle wurden an die Politiker der Bezirksversammlung gerichtet. Gute Argumente gegen die Bebauung wurden genannt. Das stieß aber nur auf taube Ohren. Bei so viel Ignoranz wuchs die Enttäuschung über die eigene Ohnmacht gegenüber der Politik rapide. Es war also eine ganz natürliche Entwicklung als sich nach wenigen Wochen eine ca. 10köpfige Gruppe aus der Nachbarschaft zusammenfand und beschloss, dass man den demokratischen Weg gehen muss, um mehr Gehör zu finden, zunächst in Form eines Bürgerbegehrens.

Mit der offiziellen Anmeldung des Bürgerbegehrens Ende Juli 2017 wurde die Initiative schlagartig öffentlich wahrgenommen. Die Politik diskutierte laut in den Medien, wie man mit Hilfe einer Senatsanweisung oder einer Evokation das Bürgerbegehren aushebeln könne und der Investor schickte an die Vertrauensleute und den Sprecher der Initiative eine Unterlassungserklärung, die jeden 10.000€ kosten sollte, im Wiederholungsfall sogar 50.000€. Wir sollten unter anderem nicht mehr behaupten dürfen, der Mühlenkampkanal sei ein Erholungsgewässer. Wer jedoch einmal im Sommer über die Kanalbrücke am Poelchaukamp oder über die Brücke Körnerstraße gegangen ist, weiß, wie intensiv Wassersportler den Kanal nutzen und wie gegenstandlos die Forderung der Unterlassungserklärung war. Trotzdem saß der Schreck anfangs tief. Erst das Hinzuziehen eines Anwalts brachte wieder Beruhigung. Es dauerte noch fast ein Jahr, bis der Investor gänzlich von seiner unhaltbaren Forderung der Unterlassung zurücktrat.

In den folgenden Monaten sammelte die Initiative mehr als 10.000 Unterschriften. Schon im September 2017 war ein Drittel der erforderlichen Unterschriften zusammengekommen. Das bewirkte, dass behördlich das Bauvorhaben vorläufig auf Eis gelegt werden musste. Die Sympathie in der Bevölkerung wuchs, die Bezirkspolitiker von SPD und Grünen waren zunehmend verärgert über unsere Aktivitäten. Einzig DIE LINKE unterstützte die Initiative mit Rat und Tat. Es war nicht nur das gemeinsame Thema und die gute Oppositionsarbeit, was verbunden hat, auch zwischenmenschlich war die Zusammenarbeit sehr angenehm.

Weil die Initiative inzwischen als ernst zu nehmender politischer Gegner auftrat, zogen die Sprecher der Regierungsparteien im Rathaus die richtigen Konsequenzen, besonders die Grünen, die nicht evozieren wollten. Es fanden substanzielle Gespräche vor Ort und im Rathaus statt, an denen am Rande sogar Vertreter der SPD und Grünen aus der Bezirksversammlung teilnehmen durften. Jedoch wurde nur die Kompromissbereitschaft der Initiative ausgelotet.

Ende Januar 2018 kam durch das Einreichen der erforderlichen Unterschriften das Bürgerbegehren endlich offiziell zustande. Wer jetzt aber schon angenommen hatte, dass die Politik einsichtig sei und die Bezirksversammlung einen Beschluss zur Beendigung der Bebauungsplanänderung fasse, wurde enttäuscht. Die Gespräche im Rathaus wurden deshalb in den folgenden Monaten fortgeführt und zum ersten Mal legte der Investor veränderte Bebauungspläne vor. Die wichtigste Forderung der initiative jedoch, nämlich deutlich weniger zu bauen, wurde nicht erfüllt. Der Investor meinte, dass nur durch Masse seine Investition wirtschaftlich sei.

Als klar war, dass der Investor diese Forderung nicht erfüllen will, befragte die Initiative ihre Basis zum weiteren Vorgehen. Sollte die Initiative über einen schlechten Kompromiss weiter verhandeln oder sollen die Bürger von Hamburg-Nord in einem Bürgerentscheid abstimmen. Das Ergebnis der Befragung war ohne Gegenstimme. Alle wollten den Bürgerentscheid, wohl wissend, dass der nicht unbefristet bindend ist. Der Investor behauptete nach Abbruch der Gespräche, er wäre bereit gewesen doch noch weiter auf Masse zu verzichten, da war es aber zu spät. Die Initiative hatte sich entschieden.

Der Start des Bürgerentscheids war wieder ein Hindernislauf für die Initiative. Die regierenden Parteien der Bezirksversammlung und die CDU, hatten in einer heimlichen Aktion eine Gegenfrage zu unserer Fragestellung aus dem Bürgerbegehren formuliert, die inhaltlich kaum als Gegenfrage geeignet war, um den Bürgerwillen abzufragen. Sie war sehr auf das Angebot von bezahlbarem Wohnraum in Hamburg und Winterhude ausgerichtet und hatte nur wenig Bezug zum Erhalt von Grünflächen. Sie war aber geeignet herauszufinden, was dem Bürger wichtiger ist: Grünerhalt oder günstiger Wohnraum. Zunächst wollte die Initiative erwirken, dass die Gegenfrage mehr direkten Bezug zum Bauvorhaben hat, konnte sich damit aber nicht durchsetzen. Selbst der Weg bis zur Bezirksaufsichtsbehörde mit einem Schlichtungsverfahren war ohne Erfolg, sodass sich am Ende die Initiative geschlagen gab und den Fokus ganz auf den Wahlkampf legte. Das großartige Wahlergebnis gibt der Initiative recht.

Die Initiative ist ihren vielen Unterstützern zu großem Dank verpflichtet. Das waren die vielen Einzelkämpfer beim Unterschriften sammeln und beim Verteilen von Flyern, weiter natürlich DIE LINKE, das Nordnetz und besonders auch Mehr Demokratie. Alle haben viel Zeit und Engagement eingebracht, andere haben mit Spenden ermöglicht, dass viele Bürger erreicht werden konnten.

Trotz des eindeutigen Wählervotums gibt es bei den Bezirkspolitikern von SPD, Grünen, CDU und FDP immer noch kein Einsehen in die Notwendigkeit, mit einem Beschluss die vorhabenbezogene Bebauungsplanänderung Winterhude 23 für immer zu beenden. Den Denkzettel dafür dürfen sie sich dann wohl im Mai 2019 bei der Wahl zur Bezirksversammlung abholen.

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